Seit dem Jahr 2001 gedenkt die Welt am 11. September jährlich der welthistorisch einschneidenden Ereignisse dieses Tages in New York. Eingefleischte Fußballfans, darunter viele Anhänger und Anhängerinnen des GAK, widmen an diesem Tag aber auch den einen oder anderen Gedanken einem der ganz Großen der frühen – nicht nur österreichischen – Fußballgeschichte: Josef Rudolf („Rudi“) Hiden, der am 11.9.1973, also vor genau 50 Jahren, für immer seine Augen schloss.
Die Wiesen des unweit seiner elterlichen Wohnung in der Grazer Schönaugasse 32 gelegenen Augartens zogen den am 19. März 1909 als zweiten Sohn des Ehepaars Franz und Luise Hiden geborenen Rudi schon früh in ihren Bann. Denn sie boten in den frühen 1920er Jahren ideale Möglichkeiten, der in der ausgehenden österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie aus England gekommenen und in der jungen Ersten Republik boomenden Fußballleidenschaft zu frönen. Hier war es auch, wo der hochgewachsene 13-Jährige von Hans Rosner, Torhüter und „Talentescout“ des GAK, entdeckt und für den gerade 20 Jahre gewordenen Verein gewonnen wurde. Ein eigentlich unglücklicher Zufall wollte es, dass der athletische Offensivspieler bei Gelegenheit eines Duells mit Stadtrivalen Sturm zum Torhüter mutierte. Als größter Spieler seiner Mannschaft musste Hiden nämlich den verletzt ausgefallenen GAK-Schlussmann ersetzen und ließ bei dieser Gelegenheit sein ungeheures Talent zwischen den Pfosten aufblitzen. Innerhalb kürzester Zeit avancierte der Bäckerlehrling zum Stammgoalie beider Jugendmannschaften seines Vereins, und bereits im Spätherbst des Jahres 1925 gab der vom GAK-Jugendleiter und Trainer Major Oppitz geförderte 16-Jährige sein Debüt in der Kampfmannschaft. Von hier führte ihn der Karriereweg binnen kürzester Zeit auch in die steirische Fußballauswahl, für die er am 2. Mai 1926 gegen Budapest sein erstes internationales Spiel bestritt. Seine in der lokalen Presse bejubelten Großtaten im Gehäuse der Grazer Athletiker hatten nicht nur wesentlichen Anteil an deren Gewinn der steirischen Meisterschaft in den Jahren 1926 und 1927, sondern weckten auch das Interesse Wiener Großvereine am Jahrhunderttalent Hiden. Schließlich hatte dieser in den zehn Meisterschaftsspielen der Saison 1927 nur drei gegnerische Treffer zugelassen und so ein vielsagendes Versprechen für die Zukunft abgegeben. Eine Ablösesumme von 500 Schilling und die Unterschrift seiner Mutter Luise unter dem Vertrag, den der noch minderjährige Rudi nicht selbst unterfertigen durfte, besiegelten daher bereits 1927 seinen Wechsel zum WAC in den Wiener Prater.
Im krisengebeutelten Österreich der 1920er Jahre, insbesondere in Wien, zählte Fußball zu den beliebtesten und massentauglichsten Ablenkungen von den oft drückenden Alltagssorgen. Vereinsgründungen, Stadienbauten und der 1924 in Österreich eingeführte Profibetrieb verliehen dem Fußball hohen gesellschaftlichen, aber auch damals schon wirtschaftlichen Stellenwert. Erfolgreiche Kicker rückten ins öffentliche Rampenlicht, wurden verehrt, Werbeträger und Idole. Vor diesem Hintergrund setzte der mit knapp 18 Jahren mit seinem Motorrad über den Semmering gekommene Rudi Hiden zu den nächsten Schritten seiner beinahe legendären Karriere an – und eine Legende steht auch am Beginn der Jahre des Grazers zwischen Wiener Pfosten. Als Reaktion auf einen vermeidbaren Gegentreffer bei Hidens Debüt im WAC-Dress wird seinem Teamkollegen Karl Sesta (1906-1974), der später als der „Blade im Wunderteam“ Berühmtheit erlangen sollte, der Ausruf zugeschrieben: „So a Türl kann a nur a Steirer kriegen!“ Ob dies tatsächlich die Geburtsstunde des bis heute sprichwörtlichen „Steirertors“ war, oder die Geschichte nur gut erfunden ist, wird sich nie restlos klären lassen, ein Klassiker ist sie inzwischen allemal.
Doch auch auf dem Wiener Rasen vermochte der fang- und fauststarke Torhüter, der mit weiten Auswürfen Schule machte und seine Strafraumhoheit mit Robustheit bis hin zur Gerichtsanhängigkeit behauptete, rasch zu überzeugen. Schon bald wurde die schier unbezwingbare „Hidenburg“ zum geflügelten Wort für das von Rudi gehütete Tor. Der Ruf ins österreichische Nationalteam ließ daher nicht sehr lange auf sich warten. Mit erst 19 Jahren debütierte der als „Praterlöwe“ Gefeierte am 6. Mai 1928 beim 3:0-Sieg gegen Jugoslawien im Gehäuse der österreichischen Nationalelf, das er bis 1933 insgesamt 20 Mal hüten sollte. So auch beim historischen 5:0 Sieg über das auf dem Kontinent bislang ungeschlagene Schottland am 16. Mai 1931, der als Geburtsstunde des sogenannten Wunderteams in die Geschichtsbücher einging. Mit diesem Länderspiel begann eine Erfolgsserie, die Österreich mit seinen Siegen über Deutschland (6:0 und 5:0), die Schweiz (2:0, 8:1, 3:1), Italien (2:1), Ungarn (8:2 und 3:2), Schweden (4:3), Belgien (6:1) und Frankreich (4:0) sowie mit der historischen Niederlage gegen England an der Stamford Bridge (3:4) zur europäischen Fußballgroßmacht aufsteigen ließ und Nostalgiker bis heute davon schwärmen lässt, wozu eine heimische Elf fähig sein kann.
Rudi Hidens Ausnahmequalitäten waren allerdings nicht nur in seiner Heimat geschätzt und begehrt. Ein Vertrag mit Arsenal London, wo das Hidens Paraden zu verdankende 0:0 gegen England die Begehrlichkeit nach Österreichs Schlussmann geweckt hatte, war im Sommer 1930 praktisch unter Dach und Fach. Den Transfer des 21-Jährigen ins Fußballmekka seiner Zeit hätten dabei unglaubliche 2.600 Pfund, damals umgerechnet 234.000 Schilling, vergoldet, doch die englischen Behörden machten die Inselträume des Steirers durch die Verweigerung einer Arbeitserlaubnis zunichte – so sollte erst 67 Jahre später der ebenfalls beim GAK ins Rampenlicht getretene Alexander Manninger als erster österreichischer Torhüter sein Geld zwischen den englischen Aluminiumstangen Arsenals verdienen. 1933 schließlich sollte Hiden der Sprung ins Ausland tatsächlich gelingen und Racing Paris nach Überweisung einer Ablösesumme von 80.000 Francs zur neuen Wirkungsstätte der nun ehemaligen österreichischen Nummer 1 werden. Denn Frankreich, das 1932 dem Profifußball und damit Legionären in der Premiére Division die Tore geöffnet hatte, wurde in der Folge in jeder Hinsicht zur neuen Heimat Hidens. Als der französische Verband 1937 restriktive Legionärsregeln erließ, nahm Rodolphe, wie sich Hiden der Landessprache entsprechend nun nannte, wie sein Landsmann und Klubkollege August(e) Jordan die französische Staatsbürgerschaft an. In seinem erfolgreichsten Jahr gewann der wegen seiner magischen Leistungen von den Fans als „Merlin“ Verehrte mit den Parisern 1936 sowohl den französischen Meister- als auch Pokaltitel. Nur ein knappes halbes Jahr vor der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht absolvierte Hiden am 18. Jänner 1940 sein erstes und einziges offizielles Länderspiel im Dress der Équipe Tricolore. Im Pariser Prinzenparkstadion besiegte die französische Nationalmannschaft, in deren Reihen mit Auguste Jordan und Heinrich/Henri Hiltl zwei weitere vormalige Österreicher standen, Portugal mit 3:2. Der zweite Weltkrieg und dessen Wirren bedeuteten für Hiden, der in der französischen Armee als „Sportinstruktor“ diente und im Mai 1940 in deutsche Gefangenschaft geriet, mehr oder minder das Ende seiner aktiven Laufbahn. Von der systemtreuen heimischen Tagespresse wurde der einstige österreichische Nationalheld bei dieser Gelegenheit als Vaterlandsverräter und warnendes Beispiel für die vermeintlichen Auswüchse des von den Nazis verteufelten Profisports stigmatisiert. Nach vorübergehender Internierung in Trier und Köln durfte Hiden ins besetzte Paris zurückkehren, wo er vorübergehend als Sportredakteur bei der „Pariser Zeitung“, dem Sprachrohr der deutschen Okkupanten, sein Auslangen fand – eine Tätigkeit, die ihn nach der Befreiung von Paris 1944 und 1946 kurzzeitig in französische Haft brachte, die nach Freisprüchen vor Gericht aber Episode blieb. Nach Ende des 2. Weltkriegs wechselte der 1938 von der italienischen „Gazetta dello Sport“ als bester Torhüter Europas Apostrophierte auf die Trainerbank, doch seine bis 1964 währenden Engagements in Paris, in der Türkei und bei mehreren italienischen Klubs waren von wenig Erfolg gekrönt.
Auch abseits des grünen Rasens sorgte Rudi Hiden schon früh für große öffentliche Aufmerksamkeit und durchaus ambivalente Wahrnehmungen. So verstand es der attraktive Grazer, seine 185cm Körpergröße publikumswirksam in Szene zu setzen. Wie sein späterer Nachfolger im GAK-Gehäuse Savo Ekmecic galt auch Hiden als stilprägende Modeikone zwischen den Torpfosten. Was für den GAK-Jahrhundertspieler die knielange Tormannhose werden sollte, hatte sein ideelles Vorbild in Rudi Hidens schwarzem Pullover mit dem markanten weißen Rollkragen, in dem der selbst- und modebewusste Beau auflief. Trug er auf dem Feld zumeist seine charakteristische Pullmannmütze, für die er auch schon früh zum Werbetestimonial wurde, so glänzte sein Haupt abseits des Spielfelds durch eine mit reichlich Pomade in Form gebrachte Haarpracht. Hiden kostete seinen sportlichen und in weiterer Folge auch finanziellen Erfolg auf allen Ebenen in vollen Zügen aus.
1932 eröffnete er in der Landstraßer Hauptstraße 93 im 3. Wiener Gemeindebezirk eine eigene Bäckerei, in der er unter anderem die „Hiden Wuchtel“ – ein Gebäck mit Nussfüllung in Fußballform – und Länderspielkarten verkaufte. Im selben Jahr ging Hiden in der unweit seiner Backstube gelegenen Rochuskirche seine erste Ehe ein, die zwar im Fokus einer begeisterten Wiener Öffentlichkeit, aber letztlich unter keinem guten Stern stand. Freimütig sollte er später bekennen, dass er nur dem Sport dauerhaft die Treue zu halten vermöge. Bei den Gehaltsverhandlungen mit Racing Paris pokerte der für seine Tage fürstlich bezahlte Bonvivant zwischenzeitlich beinahe zu hoch, was ihn Ende 1935 vorübergehend seinen Stammplatz kostete. In den Wochen bis zu seiner Rückkehr ins Team im Frühjahr 1936 stellte er sich in Wien dem Zirkus Renz in dessen Varieté als Elferkiller zur Verfügung – sowohl zum Gaudium als auch zum Unverständnis vieler Zeitgenossen. Nach seiner erfolglosen Trainersaison in Palermo wiederholte Hiden 1954 seinen Auftritt in der Wiener Zirkusarena, um das Publikum mit seinen Paraden zu unterhalten, und wohl auch um seine inzwischen desolaten Finanzen aufzubessern. In Paris hatte er sich erstmals als Gastronom versucht und eine Bar erworben, die rasch zu einem Magneten der lokalen Prominenz wurde, mit der sich der Frauenliebling Rodolphe nur zu gerne umgab. Hidens gute Kontakte zum Jetset seiner Zeit schmeichelten zwar beiden Seiten, bewahrten ihn aber dennoch nicht vor mehrfachen wirtschaftlichen Bauchlandungen. Dies galt für seine Bar in der Seinemetropole ebenso wie für seine „Sport-Pension Rudi Hiden“ im heutigen Klagenfurter Stadtteil Hörtendorf am Wörthersee Anfang der 1960er Jahre. Dem Feschak und Frauenliebling zerrann das Geld zwischen seinen bei Bällen so fangsicheren Fingern. Mondäner Lebensstil, die Vorliebe für teure Autos, Mode und Affären sowie offenkundig mangelndes wirtschaftliches Talent ließen ihn in den späten 1960er Jahren endgültig verarmen. Verschärft wurde die ohnedies schon prekäre Situation des passionierten Rauchers durch jahrelange schwere Erkrankungen, die unter anderem zur Amputation seines rechten Beins zwangen. Der 1968 endgültig in seine alte Heimat zurückgekehrte Austro-Franzose erhielt 1970 wieder die österreichische Staatsbürgerschaft und nahm trotz aller Fährnisse seines tragischen Schicksals auch wieder rege am heimischen Fußballgeschehen Anteil. So war er in diesen Jahren ein oft gesehener Zaungast bei den Trainings des GAK. Die Verbundenheit mit ehemaligen Klubkollegen vermochte zumindest gelegentlich auch seine finanzielle Misere ein wenig zu lindern. Alte Weggefährten aus WAC-Zeiten verschafften ihm eine Wohnung in der Wiener Wittelsbachstraße und griffen ihm finanziell unter die Arme. Besonders tat sich dabei jedoch Konrad Reinthaler, sein früherer GAK-Mitspieler und nunmehriger Obmann der Grazer Athletiker, hervor, der über seine Kontakte als Direktor der Grazer Handelsakademie und über die lokale Presse eine großangelegte Spendenaktion organisierte. Trotz wiederholter Finanzspritzen alter Freunde, einer mit der Wiedereinbürgerung verbundenen Invalidenrente und wohlwollender Protektion durch führende Politiker verstarb der leidgeprüfte Nationalheld der Zwischenkriegszeit am 11. September 1973 praktisch mittellos und fand auf dem von Ludwig Hirsch so eindrucksvoll besungenen Stammersdorfer Friedhof seine letzte Ruhestätte. Sein einfaches, einst vom Wiener Fußball-Verband gestiftetes, zwischenzeitlich beinahe aufgelassenes und seit 2016 von der Stadt Wien ehrenhalber gewidmetes Grab erinnert Rudi Hiden, an dessen Seite seine zwei Jahre nach ihm verstorbene zweite Ehefrau Suzanne ruht, schlicht als „Wunderteamtormann“.
Posthum wurde dem einzigen Grazer in Österreichs erfolgreichstem Nationalteam die verdiente Anerkennung zumindest in Ansätzen zuteil. Hidens aus Frankreich stammende Witwe, die sich trotz Rudis beinahe bis zu seinem Tod währender Amouren um den körperlich Gebrochenen gekümmert hatte, wurde auf Veranlassung von Bundeskanzler Bruno Kreisky eine Ehrenpension zuerkannt. 1998 wurde er von der Internationalen Föderation für Fußball-Geschichte und Statistik zu „Österreichs Torhüter des Jahrhunderts“ gewählt und unter den Jahrhundertkeepern Europas auf Platz 13 gereiht. Gedenktafeln im Gebäude der HIB Liebenau und auf dem Areal des ehemaligen GAK-Platzes an der Murpromenade, das Rudi-Hiden-Archiv und das nach ihm benannte Besprechungszimmer in den Räumlichkeiten des Steirischen Fußballverbands pflegen gegenwärtig seine Erinnerung in Graz. In seiner so erfolgreichen Wirkungsstätte Wien trägt seit dem Jahr 2005 eine Gasse im 22. Gemeindebezirk Donaustadt seinen Namen – eine Verneigung vor einem ganz Großen der Sportgeschichte und Bringschuld, die auf seiner Heimatstadt Graz noch lastet.
Johannes Gießauf
Fotos: © Fischer/Sammlung GAK 1902, Sammlung GAK 1902
Quellen:
«Hiden-Archiv» : http://www.g-a-k.at/hiden/gak.htm
Heribert Bensch, Des Wundertormanns Heimkehr. In: AZ Magazin vom 18.11.1970.
Bravo GAK! 100 Jahre österreichischer Spitzenfußball in steirischer Tradition. Graz 2002, S. 55.
Christoph Bausenwein, Rudi Hiden. Eine Karriere zwischen Wiener Kaffeehäusern, Pariser Bars und deutschen Gefängnissen. In: Diethelm Blecking / Lorenz Pfeiffer (Hrsg.) Sportler im „Jahrhundert der Lager“. Profiteure, Widerständler und Opfer. Göttingen 2012, S. 338-345.
Mario Lercher, Erinnerungsorte des GAK – Die Geschichte der Fußballsektion. Diplomarbeit Graz 2014, S. 115-119.
Walter M. Iber, Erst der Verein, dann die Partei. Der steirische Fußball und seine Traditionsklubs im Nationalsozialismus. Graz 2016.
David Herrmann-Meng, Rudi Hiden. Die Hand des Wunderteams. Graz 2017.
Herbert Rienessel, Rudi Hiden und Marcel Sabitzer: Zwei „Rote“ in der großen Fußballwelt. In: Walter M. Iber et al. (Hg.), Stadt in Bewegung. Grazer Sportgeschichte. Graz 2022, S. 53-56.